Geschichte einer Legende

Deutschlands erstes Serviceradio wird 40 Jahre

Der „Westsender“ mit Pop- und Rockmusik hat die Jugend vieler Sachsen geprägt Das Serviceradio in Deutschland wird 40 Jahre alt: Am 1. April 1971 ging Bayern 3, damals als „Servicewelle von Radio München“, auf Sendung. Damit wurde zugleich Hörfunkgeschichte geschrieben, denn erstmals boten Radiomacher – zumindest ansatzweise – ein formatiertes Programm. Diese völlig neue Form im Hörfunk mit Staumeldungen, Umleitungsempfehlungen, Wetterbericht, Servicetipps und stündlichen Nachrichten wurde in eine frische Popmusikfarbe eingebettet. Schlager und Operettenmelodien hatten keinen Platz mehr.

Anfangs waren die Abendstunden noch speziellen Gastarbeitersendungen vorbehalten, doch nach und nach wurde die Sendezeit bis in die Nacht ausgedehnt. Schnell wuchs die Fangemeinde von Bayern 3 und reichte weit über die Grenzen des Freistaates hinaus. In der südlichen DDR war die frische Servicewelle ein populäres Radioprogramm, über den Sender auf dem Ochsenkopf im Fichtelgebirge deckte Bayern 3 den damaligen Bezirk Karl-Marx-Stadt nahezu komplett ab und ist auch heute noch auf den alte Frequenzen zu empfangen. Im Vogtland, Erzgebirge und in Mittelsachsen konkurrierten die Münchener Radiomacher mit den DDR-Programmen und vor allem mit den beiden Programmen von RIAS Berlin, der RIAS als „freie Stimme der freien Welt“ strahlte über einen speziellen Sender bei Hof – ausschließlich – in Richtung Osten.
In vielen Haushalten war das Küchenradio auf ein RIAS-Programm gestellt, die Anlage im Wohnzimmer auf Bayern 3 oder umgekehrt. Die Freitagabende mit Bayern 3 boten fast die einzige Möglichkeit, an aktuelle Pop- und Rockmusik aus dem Westen zu kommen. Viele Fans haben bei den „Schlagern der Woche“ ihre Lieblingssongs auf Kassette mitgeschnitten und dabei ständig gehofft, der Moderator möge nicht reinquatschen. Oft genug schaffte es aber „Sigi“, der unverwechselbare Verkehrsjingle, dann doch aufs Magnetband. Dem liegt übrigens das Münchner Volkslied „Solang der alte Peter“, der im Krieg zerstörten und später wiederaufgebauten Kirche St. Peter gewidmet, zu Grunde.
Viele Sachsen verbinden noch immer Jugenderinnerungen mit Bayern 3: In der 1980-er Jahren war es Kult, nach der Schule die „B 3 – Radioshow“ zu hören, die insbesondere für die Sendungsübergaben von Thomas Gottschalk auf Günther Jauch bekannt war. Oliver Hach, Redakteur bei der „Freien Presse“, hat folgende Anekdote erlebt: „Als Neuntklässler musste ich 1988 ins Lager für Zivilverteidigung nach Höfchen an die Talsperre Kriebstein. Dort gab es Lagerfunk. Einmal hatte sich ein diensthabender Offizier versehen, und es dudelte ´ne ganze Stunde lang Bayern 3. Erst als der Werbeblock anfing, wurde der ,Fehler´ bemerkt. Bei der ,Mannschaft´ hob das die Stimmung, die SED-Genossen waren äußerst pikiert.“ Je nach politischer Großwetterlage und der Linientreue lokaler Entscheidungsträger waren Westfernsehen und Westradio ab Ende der 1970-er Jahre zumindest geduldet.
„Natürlich gab es vor der Wende häufig Kontakte zu DDR-Hörern“, bestätigt Jürgen Herrmann, langjähriger Redakteur und Moderator bei Bayern 3. Die Kontaktaufnahme sei ausschließlich per Brief oder Postkarte über Verwandtschaft in der Bundesrepublik möglich gewesen.
„Private“ Kontaktadressen für Hörerpost, wie sie RIAS Berlin hatte, gab es beim Bayerischen Rundfunk nicht. „Die Anfragen betrafen hauptsächlich Musikinhalte oder Titel, Autogrammwünsche, Anfragen zur Person oder zum Lebenslauf der Moderatoren“, erinnert sich Bayern-3-Urgestein Herrmann. Diese hätten sich von denen der Westhörer kaum unterschieden. Gefragt waren im internetlosen Zeitalter auch Liedtexte, Übersetzungen, Biografien sowie Infos zu Künstlern oder Gruppen. Und es seien jede Menge Musikwünsche angekommen. „In Erinnerung ist mir auch, dass ich von vielen Hörern eindringlich darum gebeten wurde, bei Erfüllung der Musikwünsche keine Ansagen zum Absender zu machen, da sie Schwierigkeiten mit der Stasi befürchteten“, sagt Herrmann rückblickend. Einige dieser Hörer haben den Radiomann nach der Wende im Bayern-3- Studio bei der Moderation der Sendung „Mr. Music“
oder in seinem Redaktionsbüro im Funkhaus besucht.
Für langjährige Bayern-3-Hörer war die erste Autofahrt Ende 1989 in Richtung Franken und weiter südwärts über den sogenannten Weißwurstäquator alles andere als eine Reise in die Fremde. Schließlich konnte man die Reihenfolge der bayerischen Autobahnanschlussstellen aus unzähligen Verkehrsmeldungen auswendig aufsagen.
Seit Sendestart hat Bayern 3 zahlreiche Programmreformen erlebt, verschiedene Wellenchefs haben dem ersten Serviceradio Deutschlands ihren Stempel aufgedrückt. Frühere Informationssendungen, wie das „Morgentelegramm“, der „B 3 Kurier“ am Vormittag oder der „B 3 Radioreport“ am Nachmittag haben zunehmend Boulevardthemen und mehr Comedy Platz gemacht. Service wird allerdings noch immer groß geschrieben im täglichen Programm, zahlreiche Sendungen leben von ihren markanten Moderatorinnen und Moderatoren. Hierbei kann der Sender auf eine lange Tradition zurückblicken, etliche inzwischen bundesweit erfolgreiche Journalisten und Entertainer saßen bei Bayern 3 am Mikrofon: Thomas Gottschalk, Günther Jauch, Fritz Egner, Sandra Maischberger, Hannelore Fischer vom ARD-Mittagsmagazin oder Ingo Nommsen vom ZDF-Vormittag „Volle Kanne“ sind einige von ihnen. Georg Kostya
(1935-2011) und Rainer Gerhardt (1940-2010) wiederum werden echten Bayern-3-Fans für immer in Erinnerung bleiben, selbst wenn sie nie wieder eine Radiosendung fahren werden.
Bayern 3 setzt nach Angaben des Bayerischen Rundfunks einen 2009 eingeleiteten Erfolgskurs fort: Laut Media Analyse Radio II 2010 schalten täglich 2,7 Millionen Hörer bundesweit die Servicewelle ein, gut 100.000 Hörer mehr als in der MA 2010 Radio I. Die werktägliche Reichweite stieg von 20,8 Prozent auf 21,6 Prozent, der Marktanteil von
16,3 Prozent auf 17,2 Prozent und damit auf den höchsten Wert seit Anfang der 1990er Jahre. (LL)

Bayern 3 im Internet: http://www.bayern3.de 
Eine durchaus kritische Betrachtung der Geschichte von Bayern 3 von Fans: http://www.b3-history.de

Über djvintern
Der DJV Sachsen wurde 1990 gegründet und ist als Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband die Interessenvertretung der Journalistinnen und Journalisten im Freistaat Sachsen.

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