NR-Jahrestreffen mit Vorstandseklat
15. September 2011 Hinterlasse einen Kommentar
Es war nicht der spannendste Punkt der Tagesordnung, der das Jahrestreffen von „Netzwerk Recherche“ (NR) in Rage und in die Medien brachte – aber er zeigte die symptomatische Unbeholfenheit, mit der selbst große Journalisten ihre eigene Sache zu hegen pflegen.
Das Treffen im Hamburger NDR-Konferenzzentrum hat als dichter Fachkongress viel zu bieten, nebenher läuft die Mitgliederversammlung als unspektakulärer Teil im Rahmenprogramm am Freitagabend – doch diesmal hat sich der Vorstand just darauf geeinigt, dass Netzwerkgründer Thomas Leif, hauptberuflich SWR-Chefreporter, als erster Vorsitzender die Verantwortung für nicht korrekt angegebene Einnahmen übernehme und live zurücktrete. Nur machte dieser dann nicht genügend Anstalten, so dass sich erst die restliche Riege zurückziehen musste, um dafür Raum zu schaffen.
Als „Putsch im ‚Sauberkeitsverein’“ betitelte es Martin Kaul am Tag darauf in der Berliner „Tageszeitung“ – Leif sei „in einer spektakulären Veranstaltung aus dem Vorzeigeverband gejagt“ wurden, schreibt Vorzeigeverbandsmitglied Kaul. Ein wenig mehr Aufklärung – auch für die über sechshundert angereisten Journalisten direkt vor Ort – brachte die für fußballfreie Berufsvertreter zur Pflichtsendung gewordene DLF-Perle „Markt & Medien“ am Samstagnachmittag, also in der Endphase des einflussreichsten europäischen Journalistentreffens, bei dem alle Referenten dem Vernehmen nach gern und honorarfrei kommen. Dort sprach Hans Leyendecker, laut „taz“ „Deutschlands Investigativjournalist Nummer Eins“, als zweiter Vorsitzender im Netzwerk Recherche live per Handy und erklärte die missliche Situation auf dem Podium wie eingangs beschrieben.
In der veröffentlichten Vorstandserklärung liest sich das relativ leidenschaftslos: „Bei der Mitgliederversammlung des Netzwerkes Recherche am 1. Juli hat der 1. Vorsitzende des Vereins, Thomas Leif, die Verantwortung für mögliche Abrechnungsfehler übernommen. Er schied aus dem Vorstand aus. Der übrige Vorstand wurde beauftragt, die Geschäfte bis zur Klärung aller Vorwürfe weiterzuführen und bis Ende des Jahres einen detaillierten Bericht über das Ergebnis der Wirtschaftprüfung vorzulegen.“
Der Vorstand erklärt dort auch, dass es an der persönlichen Integrität Thomas Leifs keine Zweifel gäbe. Es gehe um Hinweise, genährt durch Wirtschaftsprüfung, dass gegenüber der Bundeszentrale der Politischen Bildung, die das Jahrestreffen per „Defizitförderung“ unterstützt, nicht alle Einnahmen ordnungsgemäß angegeben wurden. Daraufhin seien alle erhaltenen Fördermittel – in Summe von 2007 bis 2010 Fördermittel in Höhe von 75.000 Euro – vorsorglich zurückgezahlt wurden. Eine persönliche Vorteilnahme wäre nicht der Fall.
Leyendecker bestätigte die ansonsten sehr gute Leif-Arbeit live im DLF-Interview und verwies darauf, dass der Verein – dank seines Wirkens – die Rückzahlung locker bewältigen könne. Nun wird es Vorstandsneuwahlen bei einer erneuten Mitgliederversammlung bis spätestens Ende des Jahres geben.
Freude über Zwist höchstens bei Atomkonzernen
Freude über den ablenkenden Zwist können wohl nur die vier mit der „Verschlossenen Auster 2011“ ausgezeichneten Energieriesen empfinden – sie werden für ihre Nichtkommunikation ausgezeichnet. Die vier Atomkonzerne RWE, EnBW, Vattenfall und EON „… haben beschönigt, beeinflusst und verheimlicht. Sie haben einen massiven Lobbydruck ausgeübt, auch dann noch, als viele Bürger öffentlich protestierten“, heißt es in der Begründung der Jury. Die Atomkonzerne hätten Jahrzehnte lang die Wahrheit in ihrem Sinne verdreht, Politik massiv unter Druck gesetzt und die Gefahr von Atomkraft gegenüber der Öffentlichkeit unter dem Deckmäntelchen des Klimaschutzes heruntergespielt, entscheidend sei vor allem der Stellenwert der gesellschaftlichen Debatte gewesen. Die Laudatio für die „Informationsblockierer des Jahres“ hielt Heribert Prantl: „Die Atomkonzerne werden ausgezeichnet für gefährlich einseitige, marktmächtige Information, sie werden ausgezeichnet für die Verharmlosung von Gefahren, für exzessiven Lobbyismus.“
Andreas Herrmann