Rekord! Rekord! Rekord!

Gehts nicht `ne Nummer kleiner ?

„Das Jahrhundert der Bescheidenheit“ – ein gewagter großer Zeitraum für Analysen und „Ratschläge“ an die Leserinnen und Leser, wie sie sich in unserer schnelllebigen Welt mit täglichen Unmengen an Informationen „verhalten“ und

leben sollten. So nämlich ließ eine Dresdner Tageszeitung vor geraumer Zeit „Gast“autoren ihr Blatt gestalten, so von Wirtschafts-Professoren, Wissenschaftlern der Politik, Unternehmern, Leitern derartiger Einrichtungen und anderen. „Chefredakteur“ für einen Tag war ein ehemaliger Ministerpräsident Sachsens, dessen großes Thema die Bescheidenheit war und der den Rat gab: „Wir müssen neue Antworten finden.“ Und in seinem Lei(t)artikel schrieb er denn gleich mal weiter: „…wir müssen Wege suchen, wie wir mit unserem Überfluss sparsamer umgehen und ihn mit der großen Mehrheit der Menschen gerechter teilen können…“ 

Nun ist das ja so eine Sache mit der Bescheidenheit und es fragt sich: Wer ist wie bescheiden ? Antworten verschiedenster Art folgten: „DAX-Vorstände verdienen wieder wie vor der Krise“ (März 2011), „Ackermann kassiert für 2010 neun Millionen“ (März 2011), „Deutschlands Millionärsclub wächst – Gutes Jahr für die Superreichen“ (Juni 2011), „Abgeordnete erhalten höhere Bezüge“ (Juli 2011) – „Hartz IV-Empfänger bekommen 5 Euro drauf“ (Mai 201-1), „Rentner erhalten  knapp 1Prozent mehr“ (Juli 2011). Bei den letzteren, 20 Millionen „Betroffenen“, ist der erhobene Zeigefinger des „Chefredakteurs“ auf einem Foto der Zeitung ganz bestimmt (ein)gesehen worden. 

Und welche Wirkung die nicht besonders glücklich formulierten journalistischen Verkündungen hatten, war relativ schnell zuerkennen. Einige, die noch nichts „abbekommen“ hatten, meldeten sich rasch und prompt: „Anwälte fordern (!) höhere Gebühren“ (März 2011). Der zuständige Kammerpräsident sprach sich für 15 Prozent „Anpassung“ für die über 4.700 Rechtsanwälte in Sachsen aus. Noch Fragen? möchte ich fragen. Da „machen“ Beiträge wie „“Kürzungen kosten 12.000 Menschen den Familienurlaub“ (März 2011) und „Für Jugendhilfe fehlt fast 1Million“ (März 2011) nicht gerade Mut, um die Lei(t)artikel-These von der sozialen Gerechtigkeit als Leitgedanken aufzunehmen. Oder ist der Buchstabe „t“ bewusst weggelassen worden (siehe Fasimile) ? 

Naja, auch in unserer Zunft ist die Bescheidenheit noch nicht so richtig beim Gebrauch der Worte erkennbar. Trotz aller wirtschaftlichen und finanziellen Widrigkeiten vergeht kaum ein Tag, wo besagte Tageszeitung, aber auch fast alle Medien nicht einen „Rekord !“, „Rekord !“, „Rekord !“ verkünden. Eventuell berechtigt für eine großartige sportliche Leistung, merkwürdige „Rekorde“, 

„Rekorde“, über die zu berichten kaum eine Zeile verwendet werden sollte. Dann gibt es auch „Rekorde“, die gar keine sind, die widersinnig sind. Deshalb möchte ich die Kolleginenn und Kollegen unserer Branche fragen: müssen angesichts von Millionen Arbeitslosen – die vielleicht auch mal in eine Zeitung schauen – solche Überschriften (und mit viel lobenden Worten bestückte Texte) sein: „Autobauer auf Rekordfahrt“ (Januar 2011), „Rekordjahr für die Binnenhäfen“ (Januar 2011), „Bankenrettung treibt Schulden auf Rekordstand“  (Februar 2011), „Elektroindustrie feiert Export-Rekord“ (Februar 2011), „Deutsche Bank setzt Rekordjagd fort“ (April 2011), „“Asien-Boom treibt Linde zu Rekorden“ (März 2011), „Außenhandel bricht alle Rekorde“, „BMW zahlt den Mitarbeitern Rekordprämie“.

Warum muss immer alles unter „Rekord, Rekord, Rekord“ veröffentlicht werden ?  

In einen Zwiespalt gerate ich auch bei Nachrichten und Berichten aus der Kultur, die ja nicht gerade mit finanziellen Mitteln gesegnet und von Entlassungen und Schließungen betroffen ist. Aber dennoch ist zu lesen: „Zittauer Theater meldet Rekord nach Neueröffnung“ (Januar 2011), „Besucherrekord in den Landesbühnen“ (Januar 2011), „Rekordbesuch in Kunstsammlungen“ (Februar 2011), „Buchmesse endet mit Besucherrekord“ ((März 2011), „Bachfest Leipzig mit Besucherrekord“ (Juni 2011), „Rekordbesuch im Schauspielhaus“ (Juli 2011).   

Dann gibt es noch merkwürdige „Rekorde“, die ins Minus zeigen: „Abgeordnete stellen Reiserekord auf“ (Januar 2011), „Seligsprechnung in Rekordzeit“(Januar 2011), „Westerwelle auf Rekordtief gesunken“. Muss man auch hier von „Rekord“ sprechen ? Ich denke, eher nicht. 

Worauf wir wirklich ganz und gar verzichten können: „Florian Silbereisen hat… Guiness-Kuss-Rekord“…zurückgeholt“, „Treppenläufer peilt Rekord im Rückwärtslaufen an“, „Dresden stellt Rekord mit 459 kleinen Männern auf“,  „Rekord in Blau-Weiß zum Welttag der Schlümpfe“, „Rekord-Murmelbahn“, „Winzige Wanze singt am lautesten“.                      

Konträrer gehts nicht:  „Zahl der Beschäftigten auf Rekordniveau“ – „Schwächste ohne Chance am Arbeitsmarkt“. 

Um zur Bescheidenheit zurück zu kehren, sind in der Sport-Berichterstattung richtig:

„Starke Männer mit Rekorden und Medaillen“ (Januar 2011), „13 Weltrekorde

im Quoten-Stadion“ (Februar 2011), „Eversen springt Weltrekord“ (Februar

2011), „Raul Spank mit Musik zum Rekord“ (Februar 2011), „Weltrekord-Versuch im Himalaya“ (März 2011), „Rekordversuch: Wanderer Herbert Hofmann will

in 16 Tagen von Sebnitz zur Zugspitze und zurück“ (Juli 2011). 

Also fasse ich zusammen: „Rekord“ bedeutet in jedem Fall „Höchstleistung“. Wenn wir unter diesem Gesichtspunkt den Gebrauch dieses Wortes im vorliegenden Beitrag sehen, dann sollte es doch sparsamer verwendet werden. Auch im Sinne der Bescheidenheit.                                                                  

Theodor Ernst Wolf

Über djvintern
Der DJV Sachsen wurde 1990 gegründet und ist als Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband die Interessenvertretung der Journalistinnen und Journalisten im Freistaat Sachsen.

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