Volksbeschuss bei Bürgerkonferenz
20. April 2015 Hinterlasse einen Kommentar
Die „Lügenpresse“ ist dank der Unwortwahl einer deutschen Jury in aller Munde. Und – unter (un)heimlicher Schadenfreude der Politik – seit rund einem Jahr unter permanenten, im Winter stark angewachsenen Volksbeschuss. Besonders seitens des gemeinen Ossi aus dem Hinterhalt politischer Desorientierung.
Grund ist der Umgang mit diversen Konflikten: Gaza, Krim, herbstliche Friedensmahnwachen, winterliche Anti-Islamisierungsdemos osteuropäischer Patrioten und nun auch noch TTIP, TISA und Griechenland – die Schere zwischen der veröffentlichten Meinung der Politiker in den „Systemmedien“ und „der Wahrheit“ der eigenen wie öffentlichen Meinung scheint auf die 180-Grad-Grenze zu zusteuern. Dazu kommt zwischendurch immer wieder kollektives Versagen beim Umgang mit skandalösen Opfern von Katastrophen und das rhythmischen Vergessen der großen Themen, die beharrlich am System knabbern: Bankenkrise, Wikileaks, legale Steuerbetrügereien, staatlich geförderter Export von Waffen samt Unruhe etc. pp.
Zweimal lud Prof. Wolfgang Donsbach, nunmehr emeritierter Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaft an der TU Dresden, zum Thema Vertrauenskrise und Glaubwürdigkeitsverlust am Beispiel der großen Medienhäuser Sachsens sächsische Journalisten aufs Podium, zwei Mal gab es völlig unterschiedliche Eindrücke.
Beim flugs zum Lügenpressepodium umfunktionierten Praxisforum im Dresdner Mundarttheater in einer Galerie im Zentrum war aus Sicht der Chefredakteure alles im Lot – keine Fehler, nur böse Leser und Zuschauer, die die Redakteure beleidigen und bedrohen. Es war der Tag, an dem sich die neue zornige Volksbewegung spaltete und der böse Spuk endgültig vorbei schien. Dementsprechend gelöst (bis abgehoben) von der Straße die Stimmung im Saal unter den großen Chefs.
Bei der Dresdner Bürgerkonferenz Ende März, organisiert vom Verein „Dresden – Place to be“ und der „Initiative weltoffenes Dresden“ und laut Veranstaltern mit 5000 Besuchern im Kongresszentrum garniert, ein weit reflektierteres Bild: Ine Dippmann (DJV & MDR), Stefan Locke (FAZ) und Heinrich Maria Löbbers (SZ) stellten sich Donsbachs geschickten Fragen, waren aber natürlich nicht die gewünschten Adressaten der vereinzelten Wutbürger. Hier wäre eine konkretere Justierung in Sachen Betroffenheit und Verfehlungen besser gewesen. So fehlten Privatfunk und Boulevard komplett.
Diese unter den 300 Zuhörern, fast alle männlich und über fünfzig, hatten ihre Kritik samt Beispielen besser vorbereitet und sorgsam notiert und relativierten einige „Fehler oder Unwahrheiten“. So jene legendäre Online-Umfrage, als die MDR-Rentner eines schönen Nachmittags zwischen Sendeperlen wie „Dabei ab Zwei“ oder Hier ab vier“ die Frage, ob nun das Image der Stadt Dresden Schaden nähme, mit 7 zu 93 Prozent verneinten. Nach 10 000 Nutzern sei die Umfrage einfach kommentarlos verschwunden, geiselte ein Besucher den Umgang des Senders mit seinen Sponsoren.
Ine Dippmann, die als DJV-Vorsitzende Sachsens für LPK-Chefin Uta Deckow einsprang und auf die hauseigene Charta zum Qualitätsjournalismus verwies, redete Klartext: Das war ein Fehler – sie wünschte, die Umfrage hätte es gar nicht erst gegeben. Sie verwies auf gegenseitige Kontrolle – und im Gegensatz zu ihrem Bundesvorsitzenden im Januar – auf die Arbeitsbedingungen und den Zeitdruck, unter denen heute produziert werden müsse. Im Januar war davon gar keine Rede, obwohl es alle hätten besser wissen müssen – und es wäre eine sehr gute Gelegenheit für DJV-Chef Konken gewesen, neue Einheitszeitungssparkonzepte zu geiseln, um ein wenig Disput in die traute Runde zu bringen. Dazu hätte er nur seine Reden zum Verbandstag parat haben müssen. Hatte er leider nicht.
Auch Sachsens Politkulisse im Wandel
Donsbach selbst, der sein Schlusswort zu einem beeindruckenden Glaubensappell an die Kraft der Medien nutzte, verwies (wie sein Kollege Lutz Hagen im Januar) auf die „Theorie des feindlichen Mediums“ – sobald ein Thema genug aufgeladen ist, empfinden Leute mit einigermaßen klarer Tendenz für eine Seite auch die ausgewogendste Darstellung als verzerrt.“ Die ist experimentell amn echt harten Konflikten getestet – im Wissen darum liegt sicher ein Schlüssel für sinnvolle Dialogformen – jenseits der größenteils und komischerweise auf private Werbedatenplattformen ausgelagerte Kundenkommunikationen.
Etwas anderes müssen die Besucher all der zahlreichen anderen Podien schamlos schlucken: Die vermeintlichen neuen „Schmuddelkinder“ des sächsischen Landtages, die so genannte Alternative für Deutschland (AfD), hat sich seit ihrem Landtagseinzug dank der aus allgemeiner Pressesicht noch schmuddeligeren Protestanten, deren Zahl entgegen der Polizeiangaben eher schwankt statt schwindet, in Windeseile etabliert und sorgt – auch mittels aggressiver Pressearbeit dank neuer Ressourcen und Kanäle für mehr Schlagzeilen als die Freien Demokraten vor fünf Jahren, als diese gar in der Regierung saßen.
Und so reden sie nun selbstbewusst mit. So wie Generalsekretär Uwe Wurlitzer, der im Anschluss an die Lügenpressedebatte im Dresdner Kongresszentrum sich an linker Zerlegung beim Thema Konservatismus erfreuen konnte. Auch Silvio Lang, als Sprecher von Dresden nazifrei erstmalig vor großer öffentlicher Streitkulisse, konnte bei ihm punkten: Er, so Lang, wisse derzeit gar nicht, ob die wankelmütige SPD derzeit links oder rechts von der CDU agiere.
Fakt ist – und das wurde deutlich: Sachsen hat sich dank der Dresdner Lokal-P-Posse verändert. Wo es hingeht, da ist auch der meistgefragte Bewegungsexperte Werner J. Patzelt unsicher. Auf den häufigen Vorwurf, man dürfe doch nicht mit Populisten, Rechtsextremen oder gar Hooligans, die mit Möhren oder Eiern mit toten Küken auf Gegendemonstranten in Angsthasenkostümen werfen, mitmarschieren, analysiert der Politikprofessor: „Die Demonstranten wissen das und fühlen sich wie im Schraubstock. Aber deswegen lieber zu Hause zu bleiben, das verbietet ihnen ihr Trotz.“ Die Sache sei von allen Seiten an die Wand gefahren wurden, er wisse leider auch nicht, wie es sich jetzt weiter entwickelt.
So geriet auch das abschließende kühle und künstlerisch arg zerfaserte Konzert am Abend vor rund zweitausend Besuchern auf dem Dresdner Theaterplatz – welches als politischer Protest angemeldet und daher ohne jeden Service auskommen musste – zur Erfahrung: Auch die bunten und weltoffenen Dresdner sind offensichtlich nicht so recht in der Mehrheit.
Andreas Herrmann
Fotos: Bilan Mahmoud, Jörn Wolf
Karikatur: Harm Bengen