Lügenpresse auf die Fresse
20. April 2015 Hinterlasse einen Kommentar
Von Steffen Grimberg, Medienjournalist beim NDR
„Lügenpresse – auf die Fresse“ – diesen Slogan, gern kehlig gebrüllt und rhythmisch wiederholt, kannte man bis zum vergangenen Jahr eigentlich von einschlägigen Aufmärschen am rechten Rand. Heute gehört er zum Vokabular der „Pegida“-Demonstrationen und ihrer diversen Ableger und wird treu in leicht abgemilderter Form (zumeist ohne die „Fresse“) von biederen Familienvätern in die Kameras der Rundfunkanstalten aufgesagt. Schon das ist ein bisschen paradox – denn die Sender, vor allem die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, zählen selbstverständlich mit zur angeblichen „Lügenpresse“, der man nicht trauen kann.
Auch wenn die ganz große Welle von „Pegida“ & Co. aktuell wieder etwas abgeflaut ist und die Szene sich gerade selbst zerlegt, bleibt der Vorwurf im Raum: Das Vertrauen in die klassischen Medien ist empfindlich gestört. Wer das Problem nur auf rechte Spinner und die von ihnen und ihren Gesin-nungsgenossen unterwanderten tumben und zum Glück nicht mehr ganz so zahlreichen Massen ein-engt, macht es sich dabei zu leicht. Ja, vieles an dieser „Medienkritik“ wurde zunächst von rechts ge-streut. Doch das Unbehagen sitzt tiefer als die all zu einfachen Zirkelschlüsse rechter Scharfmacher, die sich in der Berichterstattung der klassischen Medien schon immer ungerecht behandelt fühlten und wohlig die Ignoranz der „Systempresse“ für die eigenen Propaganda nutzen konnten.
Der Vorwurf „Lügenpresse“ sei „eine allumfassende Denunziation, nach der alle lügen – mit Ausnahme derjenigen, die diese Lüge erkannt haben und sich ihr widersetzen“, schreibt der Medienwissen-schaftler Dietrich Leder von der Kunsthochschule für Medien Köln. Der Kampfbegriff selbst stammt so zwar nicht direkt von den Nazis, sondern wurde schon im deutschen Kaiserreich von nationalkonservativ-völkischen Kreisen gegen als zu liberal, modern und (system-)kritisch angesehene Zeitungen benutzt.
Heute gilt er pauschal gegen alle Medien, weil diese die angeblich islamistische Unterwanderung Deutschlands verharmlosen oder ganz ausblenden, beim Krieg in der Ostukraine auf der falschen Seite stehen oder ganz generell an der kurzen Leine der US-Politik geführt sind. Auch hier könnte man es sich wieder leicht machen: Die berühmten Anekdoten, die Meinungsumfragen aus den USA zitieren, laut denen einen gar nicht so kleiner Prozentsatz der US-Bevölkerung tatsächlich an glaubt, dass Aliens die Schaltstellen der Vereinigten Staaten unterwandert haben, ließen sich zitieren. Doch der Schluss, dass nun eben auch Deutschland sein Quantum überzogener Verschwörungstheoretiker abbekomme, das es so anderswo immer schon gegeben hat, springt zu kurz. Sicherlich sind solche Züge in der Debatte zu vernehmen.
Doch das allgemeine Unbehagen ist größer und geht auch deutlich über die „Pegida“-Bewegung hin-aus. „Die klassischen Massenmedien scheinen auf viele Menschen wie ein monolithischer Block zu wirken, der zu bestimmten Themen und Problemen eine Art von Einheitsmeinung verbreitet und Wi-dersprüche nicht zulässt. Dieser Eindruck, der in Detailuntersuchungen zu bestimmten politischen, ökonomischen und kulturellen Themen erst noch zu verifizieren ist, verdankt sich auch der Tatsache, dass seit einigen Jahren im Bund eine große Koalition regiert, so Leder. Der außerparlamentarische Protest von rechts, wie er sich in der „Pegida“-Bewegung zeige, müsse daher geradezu zwangsläufig, da identitätsstiftend, gegen diese große Koalition von Print- und TV-Medien polemisieren.
Doch auch diese politische Einordnung greift noch zu kurz: Dass sich auch durchaus gebildete „Nor-malbürger“ von den etablierten Medien abwenden beziehungsweise diesen manipulativen Absichten unterstellen, fusst nicht allein auf der Ununterscheidbarkeit politischer Positionen oder Debatten. Auch wenn hier natürlich pointiertere Berichterstattung und Kommentierung einem Manko der aktuellen Medienlandschaft abhelfen könnte: Vieles an Berichterstattung ist tatsächlich schrecklich langweilig. Leder führt dies wiederum darauf zurück, dass Nachrichtenredaktionen zu stark dem folgen, „was ihnen der Politikbetrieb vorgegeben hat“. Die ewigen Rituale wie offiziöse Pressekonferenzen, die nichtssagenden Vor- und Vorbeifahren des politischen Personals in Oberklasselimousinen, die ver-meintlich volksnahen Schlagabtausch des gleichen politischen Personals in den politischen Talkshows von ARD bis ZDF: Die Quoten mögen noch stimmen. Doch beim Publikum kommt hier nicht mehr viel- es ist ja auch – fast – nichts mehr drin.
Dazu kommen Ungenauigkeiten, Zuspitzungen und Fehler, vor denen auch und gerade das aktuelle politische Berichterstattungsgeschäft nicht gefeit ist. Der „Stinkfinger“ des griechischen Finanzminis-ters Yanis Varoufakis im Einspiel-Clip bei Günther Jauch war vielleicht echt, allein das Bild nicht aktu-ell, sondern von 2013, was die ARD anschließend auch selbstkritisch einräumte. Und die Aufnahmen in den Hauptnachrichtensendungen, die die versammelten Staatschefs der vor allem westlichen Welt zeigten, wie sie am 11. Januar 2015 nach den Morden bei der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo auf dem Protestmarsch durch Paris zogen? – Auch sie offenbarten zunächst nicht, dass diese Inszenierung gegen den islamistischen Terror auf einem eigens abgesperrten Stück des Demonstrati-onsweges stattfand – speziell arrangiert für die Medien. „Die Fernsehnachrichten akzeptieren diese Art der Inszenierung, weil sie ihnen bessere Bilder liefert als die Normalität eines Politikbetriebs hinter abgedunkelten Autotüren“, bilanziert Leder. Doch sind solche Zuspitzungen wirklich nötig? Und wie gehen Nachrichtenprogramme, die über Jahrzehnte in ihrem Habitus durchaus eine gewisse Unfehl-barkeit ausstrahlten (und auch ausstrahlen wollten), damit um?
Und da sind da noch die richtigen Fehler, unvermeidlich im hektischen Geschäft mit der Nachricht; erst recht, wenn unter erschwerten Bedingungen aus Kriegs- und Krisengebieten berichtet wird. Mit dem Zugeben, Richtigstellen, Offenbaren, dass manchmal auch ein schlauer Korrespondent nichts weiß, taten sich Deutschlands TV-Anstalten bislang schwer.
Dass sich hier etwas ändern muss, hat nun auch die „Tagesschau“ erkannt. Ihr Chef Kai Gniffke, im ARD-Jargon der Erste Chefredakteur ARD aktuell, schrieb im Februar in seinem Blog mit leicht ge-spielter Naivität: „Seit Monaten erhalten wir eine Vielzahl teils wütender Zuschauer- und Nutzerreakti-onen. In Dresden werden wir als ‚Lügenpresse‘ beschimpft und eine Gruppe von Zuschauern reiht eine Programmbeschwerde an die andere. Gleichzeitig sind die Ergebnisse aktueller Studien zum Vertrauen der Menschen in die Tagesschau exzellent, und die Zuschauerzahl hat sich im vergangenen Jahr sogar noch mal erhöht. Was ist da los?“
Dass auch die „Tagesschau“ oft ritualisierte, inszenierte Politik abbildet, ist dabei für Gniffke nicht das Problem: Man müsse schließlich „die Maßstäbe wahren und nicht skandalisieren, was kein Skandal ist“. Denn heutzutage sei doch „nahezu alles eine Inszenierung – jede Pressekonferenz, jede De-monstration, jeder öffentliche Auftritt. Sollen Nachrichten das jedes Mal ‚entlarven‘? Hier ist das Publi-kum aus meiner Sicht längst weiter und kann solche Begebenheiten meistens recht gut einordnen.“ Bloß – warum bringt die „Tagesschau“ solche Bilder dann?
All das rechtfertigt natürlich nicht die pauschale Abqualifizierungen, wie sie in Kampfbegriffen wie Lügenpresse mitschwingen. Und doch wird man das Gefühl nicht los, dass es einen so massiven Anwurf brauchte, um vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender wach zu rütteln.
Für die ARD hat Gniffke angekündigt, dass die „Tagesschau“ sich wandeln soll – ohne ihre Kernkom-petenzen aufzugeben: „Wir werden noch härter sieben, was den Weg in unser Angebot findet. Es könnte darauf hinauslaufen, dass wir die Zahl der Themen reduzieren, um die verbleibenden ausführ-licher aufzubereiten“, so sein Fazit. Und auch der Dialog mit dem Publikum soll weitergeführt und ausgebaut werden – auch wenn das immer noch ein bisschen schwer fällt: Denn das nehme „viel Zeit in Anspruch und ist auch nicht immer vergnüglich“, schreibt Gniffke: „Aber er ist wichtig, weil er unsere Sinne zur Einhaltung unserer Standards schärft und zu konstruktiven Diskussionen (…) führt.“ Und diese Erkenntnis ist nicht auf die ARD beschränkt: Das ZDF hat seit Mitte März auf der Website heu-te.de eine Rubrik „Korrekturen“, in der Fehler, die in der aktuellen Berichterstattung passieren, schnell berichtigt werden sollen. – faktenorientiert und kompakt. „Transparenz ist hier das beste Mittel gegen Verschwörungstheorien und Manipulationsvorwürfe“, sagt ZDF-Chefredakteur Peter Frey. Vorbild der neuen Online-Rubrik sind die „Corrections“ der „New York Times“, in denen des US-Blatt Tag für Tag seine Fehler analysiert und berichtigt. Amerikanische und britische Blätter gehen seit Jahren offen, offensiv und ehrlich mit der eigenen Fehlbarkeit um. Über die Interessen der Leser und der Öffentlich-keit wachen „Reader’s Editors“ und Ombudsleute. Die Erfahrung lehrt: Derlei Maßnahmen tragen massiv zur eigenen Glaubwürdigkeit und Legitimation bei.
Es wäre an der Zeit, auch in den Redaktionen in Deutschland mehr solcher Anwälte der Öffentlichkeit zu installieren.